Folge 7: Impfbereitschaft und Einstellung zu Alternativmedizin und Verschwörungstheorien, Interview mit Prof. Dr. Sonja Haug

Demografie und Gesellschaft im Fokus: Impfbereitschaft und Einstellung zu Alternativmedizin und Verschwörungstheorien, Interview mit Prof. Dr. Sonja Haug

Willkommen zu einer neuen Folge des Podcasts der Deutschen Gesellschaft für Demographie. Dieses Mal befinden wir uns im Gespräch mit Sonja Haug. Sie ist Professorin für Empirische Sozialforschung, Sozialinformatik und Soziologie an der Ostbayrischen Technischen Hochschule Regensburg. Frau Haug ist außerdem Sprecherin des Arbeitskreises „Migration, Integration und Weltbevölkerung“ der Deutschen Gesellschaft für Demographie. Die Schwerpunkte ihrer Forschung reichen von Migration und Integration über Demographie und Familie bis hin zu sozialen Aspekten von Technik, sowie Gesundheit und Pflege.

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Hallo Frau Haug, wir freuen uns sehr, dass wir Sie heute bei unserem Podcast begrüßen dürfen. Wir wollen heute über Ihr aktuelles Projekt

„Demographische Aspekte der Impfbereitschaf Alternativmedizin und Verschwörungstheorien“ sprechen. Wer sind bei diesem Projekt Ihre Mitforschenden? Bzw. können Sie uns mal erläutern, in welchem Rahmen dieses Projekt entsteht?

Die Studie wurde gemeinsam von mir und Prof. Dr. Karsten Weber am Institut für Sozialforschung und Technikfolgenabschätzung der Ostbayerischen Technischen Hochschule Regensburg konzipiert und gemeinsam auch mit Prof. Dr. Rainer Schnell von der Universität Duisburg-Essen durchgeführt. Weitere Beteiligte an der OTH Regensburg sind Amelie Altenbuchner und Anna Scharf. Die Finanzierung erfolgt über das Bayerischen Staatsministerium für Wissenschaft und Kunst, im Rahmen des Regensburg Center of Health Sciences and Technology (RCHST).

Das sind ja viele Leute die daran beteiligt sind und vor allem auch geballte Expertise. Um dann gleich mal rein zu starten: Wie ist denn erst einmal allgemein der Stand der Studien bzw. der Forschung zu diesem Thema?

Inhaltlich verknüpfen wir in unserem Projekt verschieden Forschungsgebiete wie soziologische Einstellungs- und Verhaltensforschung, Sozialmedizin, Sozialpsychologie, Public Health-Forschung. Es gibt eine umfangreiche, auch internationale, Literatur einerseits zu Impfungen allgemein aber jetzt auch aktuell zu COVID-19.

Um die Impfbereitschaft zu erhöhen wird Evidenz über die Impfakzeptanz und deren Einflussfaktoren benötigt. Hierbei spielen die Gründe, sich impfen lassen zu wollen, eine Rolle, zum Beispiel Vertrauen und Risikowahrnehmung. Da gibt es eben zur epidemiologischen und virologischen Forschung auch zunehmend sozialwissenschaftliche Studien. Man kann sich da einen Überblick verschaffen in der Datenbank des Rats für Sozial- und Wirtschaftsdaten. In der Mehrzahl handelt es sich allerdings um Online-Studien. Häufig sind Studien zur Situation von Familien oder zum Erwerbsleben.

Wir haben als abhängige Variable die Impfbereitschaft mit einem COVID-19-Vakzin. Als wir die Studie 2020 geplant haben, gab es in Deutschland sechs Befragungen dazu, zum Beispiel Telefonbefragungen der ARD-Deutschlandtrend oder einer kleinen Teilstichprobe des Sozioökonomischen Panels (SOEP). Vor allem aber eben auch Online-Befragungen, z.B. wöchentlich das COSMO — COVID-19 Snapshot Monitoring an der Universität Erfurt6.

Es liegen eben mehrere, aber unterschiedliche Befunde zur Impfbereitschaft vor. Diese schwankt je nach Stichprobe, Messung und Erhebungszeitraum etwas. Wir haben besonders im Fokus das Thema der Online-Befragungen. In einer aktuellen Bachelorarbeit unter Betreuung von Prof. Dr. Schnell wurden 47 Studien ausgewertet, vor und nach der Zulassung eines Impfstoffes in Deutschland. Es wurde festgestellt, dass für die telefonischen Befragungen, von denen es neun gibt, stets eine höhere Impfbereitschaft gegen COVID-19 berichtet wurde als in den Onlinebefragungen, von denen es bisher 38 gibt. Diese Online-Befragungen basieren ja fast nie auf Zufallsstichproben, sondern auf selbst rekrutierten Befragten, die das Internet nutzen. Da etwa 21 % der Bevölkerung älter als 65 Jahre sind, also ca. 16,8 Millionen Personen, und bei den über 70-Jährigen der Internetnutzungsanteil unter 50 % liegt, können auf Basis dieser Online-Befragungen eigentlich keine generalisierbaren Aussagen über die Gesamtbevölkerung in Deutschland getroffen werden. Das gilt in besonderem Ausmaß für Studien zum Gesundheitsverhalten.

Nun haben Sie schon einige Stichworte genannt, die für Ihre Studien auch beschreibend sind: Telefonbefragung usw. Da kommen wir nachher noch zu. Zuallererst wollte ich fragen, welche Ergebnisse werden denn mit Ihrer Studie erzielt?

Wir haben als Messinstrument zur Erhebung der Impfbereitschaft nicht nur eine „Ja-Nein“ Frage, sondern ein mehrstufiges Messinstrument verwendet. Wir haben uns für eine vierstufige Skala entschieden. Die Frage lautet „Wenn ein Impfstoff gegen das Corona-Virus in Deutschland zugelassen wird: Würden Sie sich impfen lassen?“. Wir haben eine Impfbereitschaft von 67,3 % ermittelt, davon 39,5 % ‚ja sicher‘ und 27,8 % ‚eher ja‘, wohingegen 32,7 % sich eher skeptisch beziehungsweise ablehnend äußern, 18,8 % ‚eher nein‘ und 13,9 % ‚sicher nein‘. Wenige haben mit ‚weiß nicht‘ geantwortet oder keine Angaben gemacht, also 2%. Dieser Wert liegt in ähnlichen Bereichen wie andere Telefonsurveys in dem Befragungszeitraum. Es gibt eben in all diesen Studien immer einen erheblichen Anteil an Personen, die sich nicht impfen lassen wollen. In diesem Zusammenhang wird ja das Konzept der Herdenimmunität diskutiert, also die Frage, wie hoch der Anteil der Bevölkerung, der geimpft oder infiziert sein muss, um eine Immunität zu erreichen, also um Übertragungswege zu verhindern und das Virus so unter Kontrolle zu bekommen. Auch wenn die Befunde da unterschiedlich sind, ist klar, dass eine hohe Impfquote besser ist. Die Frage ist außerdem, wie impfbereit die Bevölkerung generell ist, welche Faktoren hier eine Rolle spielen und wie möglicherweise die Impfbereitschaft nochmal erhöht werden kann. Zuletzt ist interessant, welche Bevölkerungsgruppen eher impfskeptisch sind und wo angesetzt werden kann, um die Impfbereitschaft zu erhöhen, zum Beispiel durch wissenschaftlich basierte, aber trotzdem leicht verständliche Informationen, so argumentieren wir auch.

Und können Sie vielleicht, damit sich unsere ZuhörerInnen besser vorstellen können: Wie ist denn so eine Studie aufgebaut? Wie kommen Sie jetzt an diese Informationen?

Wir haben die Studie im Juli 2020 geplant, nach der Genehmigung durch ein internes Vergabeverfahren im Regensburg Center of Health Sciences and Technology (RCHST). Die Befragung ging vor dem Start der Impfkampagne in Deutschland ins Feld. Die Telefonbefragung wurde von Infas7 zwischen dem 12. November und dem 10. Dezember 2020 durchgeführt, mit einer durchschnittlichen Befragungsdauer von 25 Minuten.

Die Studie ist quantitativ, mit einem vollständig standardisierten Fragebogen mit 49 Fragen, der theoriegeleitet entwickelt wurde. Wir haben dazu umfangreiche Literaturrecherchen betrieben und zahlreiche Studien zur Impfbereitschaft, aber auch neuere Studien zu Impfverschwörungsüberzeugungen rezipiert, z.B. das Buch zur Verschwörungsmentalität von Pia Lamberty und Katharina Nocun8 oder Artikel von Lamberty und Imhoff9. Außerdem haben wir das GESIS-Archiv10 genutzt und Fragen aus der Allgemeinen Bevölkerungsbefragung der Sozialwissenschaften (ALLBUS) übernommen, z.B. zur Soziodemografie oder Anomie, oder auch zur Einstellung gegenüber alternativmedizinischen Behandlungsverfahren, die im ALLBUS 2012 verwendet waren. Die Items basieren fast durchweg auf anderen Studien, wobei es hier auch verschiedene Varianten gab, also unterschiedliche Operationalisierungen. Wir haben dann die Frageformulierungen, teilweise übersetzt, überarbeitet und nach einem internen Pretest die endgültige Fassung festgelegt.

Sie hatten schon gesagt, es war über eine Zufallsstichprobe und da könnte ich mir vorstellen – auch nochmal für die ZuhörerInnen: Was genau versteht man genau unter einer Zufallsstichprobe? Was ist das Besondere daran?

Zunächst mal gehört zu unserem Projektteam auch Rainer Schnell, der ja in dem Bereich Survey-Forschung ein führender Experte ist. Ziel war eine Stichprobe aus der Grundgesamtheit, also der Bevölkerung über 18 Jahren in Deutschland, bei der jede Person eine Auswahlchance und zwar die gleiche Chance hat. Eine solche Stichprobe kann nur mittels Zufallsauswahl aus einer vollständigen Liste der Grundgesamtzeit gezogen werden. In unserem Fall als Telefonumfrage wäre das das Telefonregister. Aber es gibt inzwischen viele Leute, die nicht in öffentlich zugänglichen Verzeichnissen eingetragen sind. Weiterhin muss aber auch noch berücksichtigt werden, dass es zunehmend Personen und Haushalte nicht mehr per Festnetz erreichbar sind. Inzwischen wird hier das Dual-Frame-Verfahren angewandt. Bei diesem erfolgt die Ziehung nicht aus einem, sondern aus zwei Auswahlrahmen, die zusammen die Population vollständig abdecken, also ein Auswahlrahmen für Telefonnummern ausschließlich aus dem Festnetz und der andere mit Nummern des Mobilfunks. Also das ganze Verfahren ist recht komplex, und wir sind froh, dass Infas das für uns übernommen haben. Für unsere Studie liegen 2.014 realisierte Interviews vor, die in relativ kurzer Zeit erreicht wurden, bei einer Kooperationsrate von 17 % sind wir eigentlich ganz zufrieden.

Und wenn Sie dann über dieses komplexe Verfahren Ihre Stichprobe realisieren können- wo liegen denn die Herausforderungen einer telefonischen Befragung?

Das sind viele, ich gehe mal auf drei ein:
Erstens gibt es eine zunehmende Zahl von Haushalten, die nur per Mobiltelefon erreichbar sind. Das korreliert wiederum mit Alter, Einkommen, Migrationshintergrund oder anderen Faktoren. Die werden bei einer Ziehung aus dem Festnetzauswahlrahmen ausgeschlossen. Nach Angaben von infas betrifft das mindestens 13 Prozent der Bevölkerung und mindestens 18 Prozent der Haushalte, also ein erheblicher Teil inzwischen. Darauf wird mit dem Dual-Frame-Verfahren reagiert, das hatte ich schon erwähnt.

Zweitens gibt es eine sinkende Antwortbereitschaft, eine zunehmende Teilnahmeverweigerung bei Umfragen. Dies variiert auch nach Thema. Das Thema Impfung in der Corona-Pandemie betrifft allerdings die meisten Menschen und interessiert auch die meisten, daher ist die Antwortbereitschaft auch relativ hoch und daher ließ sich unsere Studie auch gut realisieren.

Dritter Punkt betrifft die Problematik, dass ein Teil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund nicht gut genug Deutsch verstehen oder spricht, um ein Telefoninterview zu führen. Es ist unklar, wie viele Personen dies genau betrifft. Einerseits hat der Anteil der Personen ohne Deutschkenntnisse wieder zugenommen seit 2015, andererseits ist der Spracherwerb durch Integrationskurse für Geflüchtete auch viel schneller erfolgt. Die Lösung wäre eine Übersetzung des Fragebogens und das Angebot von Interviews in Herkunftssprachen, was allerdings sehr teuer und aufwändig ist. Dieses Angebot konnten wir in dieser Studie nicht realisieren.

Also Fazit ist, Telefonbefragungen ist immer noch das beste Verfahren für eine Bevölkerungsbefragung, da alternative Verfahren teurer oder in der Corona-Pandemie auch weniger praktikabel sind, zum Beispiel eine Einwohnermelderegisterstichprobe mit persönlich-mündlichen Interviews, oder auch relativ geringe Ausschöpfungsquoten erzielen, wie Einwohnermelderegisterstichprobe mit postalischer Befragung, oder im Fall von Online-Befragungen keine generalisierbaren Ergebnisse bringen. Diese Problematik kann auch in Publikationen von Rainer Schnell nachgelesen werden.

Wir befinden uns beim Podcast der Deutsche Gesellschaft für Demographie und da liegt natürlich die Frage auf der Zunge: welche Rolle spielt die Demographie denn bei Ihrer Forschung oder für Ihre Studie im Speziellen?

Natürlich ist das für uns zentral, das ist klar. Die soziodemographische Struktur oder auch demographische Struktur der Bevölkerung ist ganz entscheidend für die Ergebnisse einer Umfrage. Diese Altersstruktureffekte müssen immer in Betracht gezogen werden, das ist ja mit auch ein Grund, warum diese Online-Befragungen verzerrte Ergebnisse erbringen, weil sie eben die älteren ausschließen. Wenn Aussagen über die Bevölkerung gemacht werden sollen, ist es wichtig, demographische Merkmale zu erheben. Die Erklärungskraft der demographischen Faktoren Alter und Geschlecht ist für jede Studie wichtig, aber auch weitere Aspekte wie Elternschaft oder Migrationshintergrund – den konnten wir leider nicht adäquat erfassen. Ein zentraler Faktor bei der Impfbereitschaft ist nach unseren Erwartungen das Alter. Mit dem Alter steigt das Risiko der Erkrankung; deshalb zählt das Robert-Koch-Institut (RKI) ältere Menschen zu den Risikogruppen. Das Alter hat auch in unserer Studie einen unabhängigen Effekt, auch unter Kontrolle verschiedener Faktoren. Das heißt, dass ältere Menschen grundsätzlich impfbereiter sind. Das ist mit auch ein Ergebnis der Telefonbefragung. Die Online-Befragungen, die eine niedrigere Impfbereitschaft ermitteln, sind eben verzerrt, da ältere Menschen systematisch untererfasst bleiben. Was wir so nicht erwartet hatten – und ich hatte keine Hypothese dazu, in der ersten Analyse wurde Geschlecht gar nicht einbezogen – ist die geringe Impfbereitschaft von Frauen im Vergleich zu Männern. Dieser Geschlechtseffekt bleibt stabil auch unter Kontrolle einer langen Liste anderer Faktoren. Und dann weiterhin Eltern, die minderjährigen Kindern im Haushalt haben, und auch hier wiederum Mütter mit minderjährigen Kindern, haben eine geringere Impfbereitschaft als alle Personen ohne minderjährige Kinder. Generell gehen wir von der Annahme rationaler Akteure aus, das heißt wir erwarten, dass die Entscheidung, sich impfen zu lassen, auch rationalen Kalkülen folgt. Hierbei spielt natürlich das Risiko einer COVID-19-Erkrankung und deren Konsequenzen eine entscheidende Rolle. Zu erwarten sollte ja auch sein, dass Bildung oder Wissen über Impfungen die Impfbereitschaft erhöhen. Tatsächlich steigt die Impfbereitschaft mit dem Bildungsniveau, aber bei jeder Schulabschlussstufe sind Frauen etwas weniger impfbereit als Männer. Besonders niedrig ist dann die Impfbereitschaft übrigens bei Frauen mit Fachhochschulreife, dies durchbricht den Bildungseffekt, dass bei steigender Bildung die Impfbereitschaft höher ist. Das Geschlecht ist etwas, das wir noch genauer betrachten wollen.

Gerade bei diesem Thema, was ja so öffentlich diskutiert worden ist, können es ja allein auch schon Medienberichte sein, die dann die Einstellung stark beeinflussen können. Ihr Projekt umfasst ja auch den Zusammenhang von Impfbereitschaft und, besonders in der Pandemie sehr publik gewordenen Thema, Verschwörungstheorien und auch die Alternativmedizin, die seit mehreren Jahren in aller Munde ist. Wie behandelt Ihre Studie diese Bereiche und verbindet sie miteinander?

Grundsätzlich hatte ich ja schon erwähnt, dass wir dachten, die Befragten entscheiden sich rational und tatsächlich zeigt sich auch dieser Effekt, dass Personen aus Risikogruppen und Personen, die die Gefährlichkeit einer COVID-19-Erkrankung hoch einschätzen, auch bei multivariater Analyse eine hohe Impfbereitschaft haben. Zum Beispiel haben 84,5 Prozent haben Personen, die die langfristigen Konsequenzen einer Erkrankung mit COVID-19 möglicherweise für gefährlich halten eine sehr hohe Impfbereitschaft, wohingegen nur 19,6 Prozent sich impfen lassen wollen, wenn sie die Konsequenzen für völlig harmlos halten. Dieser Effekt ist auch nochmal unabhängig von der Selbstzuordnung zu einer Risikogruppe. Also das Risiko wird dann mit einbezogen. Die Erfahrungen mit einer Infektion, oder auch die Impfbereitschaft bei Personen in der eigenen sozialen Bezugsgruppe haben einen Einfluss. Aber auch das Vertrauen in das Robert-Koch-Institut, also die verfügbaren Informationen. Das ist alles gut erklärbar, denn neben der eigenen Betroffenheit wird die Betroffenheit und die Einstellung von Personen aus dem engsten sozialen Umfeld für die eigene Impfentscheidung relevant. Und das Vertrauen in Institutionen, da ist das RKI an erster Stelle zu erwähnen.  Dann kommen aber noch Faktoren hinzu, die sich nicht so einfach erklären lassen und teilweise etwas seltsam wirken. Hängt natürlich mit Medien zusammen, da gehe ich jetzt aber gar nicht so sehr drauf ein. Zum einen ist die Furcht vor Nebenwirkungen ein zentraler Faktor für Impfskepsis oder Impfablehnung – das ließe sich ja auch noch mit der Annahme rationaler Akteure gut erklären. Wir haben in einer Art Wissenstest nach der Einschätzung gefragt, wie häufig ernsthafte Nebenwirkungen bei Grippeimpfungen auftreten. Die Faktenlage ist so, dass die Wahrscheinlichkeit ernsthafter Nebenwirkungen bei Grippeimpfungen bei nahe null liegt. In unserer Studie hingegen äußern die Befragten Werte, die extrem hoch sind; also wären sie tatsächlich so hoch, würde eine Impfung nie zugelassen werden. Der Mittelwert der vermuteten Häufigkeit bei Grippeimpfkomplikationen liegt bei 16.8%, bei Impfskeptikern bei sagenhaften 30.4%. Um besser verstehen zu können, wie solche Werte zustande kommen, verwenden wir, leicht abgewandelte Item der Vaccine Conspiracy Beliefs Scale von Shapiro et al. 2016 und abgewandelte Items zur Messung einer Verschwörungsmentalität nach Lamberty und Imhoff 2018. Wir fragen auch, wie im ALLBUS 2012, nach dem Glauben an die Wirksamkeit alternativer Heilverfahren und zur Einstellung zu bestimmten Behandlungsverfahren, zum Beispiel Akupunktur oder Homöopathie, die da mit hineinspielen.

Welche Ergebnisse haben sich dabei gezeigt?

Ganz deutlich zeigt sich: Impfablehnung geht häufig einher mit Überzeugungen von stark überhöhten und wissenschaftlich nicht belegten Gefahren von Impfungen sowie von Verschwörungsüberzeugungen. Personen, die den Items der Vaccine Conspiracy Beliefs Scale voll zustimmen, sind viel weniger impfbereit. Das sind zum Beispiel Aussagen wie „Pharmaunternehmen spielen die Gefahren von Impfstoffen herunter“, das stimmen 19 Prozent voll zu. Oder „Nebenwirkungen von Impfungen werden häufig verschwiegen“, der 21 Prozent voll zustimmen. Bei Personen, die den Items der Skala voll zustimmen, liegt die Impfbereitschaft nur noch bei einem Drittel. Solche Einstellungsmuster sind natürlich auch medial vermittelt. Auch ein starker Glaube an die Wirksamkeit alternativer Heilverfahren oder eine hohe Anzahl befürworteter alternativer Verfahren für die Krankheitsbehandlung, z.B. Homöopathie, die kovariieren mit einer geringeren Impfbereitschaft. Etwa die Hälfte der Bevölkerung glaubt an die Wirksamkeit von Homöopathie und 43 Prozent glauben, dass alternative Heilmethoden besser als die Schulmedizin wirken. Ist natürlich klar, dass damit auch eine Impfablehnung verbunden ist. Zusammenfassend hat etwa ein Drittel einen hohen Glauben an die Wirksamkeit alternativer Behandlungsverfahren. Da sind wir im Moment. Zu diesen Zusammenhängen wollen wir noch weitere Analysen durchführen, um besser verstehen zu können, wie diese Einstellungsmuster mit anderen Faktoren zusammen hängen wie Bildung, Geschlecht oder Elternschaft oder politischen Einstellungsmustern und auch Mediennutzung natürlich, zusammenhängen. Schon jetzt ist aber auch deutlich, dass hier Ansatzpunkte gegeben sind, dass Wissensdefizite behoben werden sollten, um der Verbreitung falscher Informationen entgegenzuwirken und so möglicherweise die Impfbereitschaft zu erhöhen.

Aber Forschungen wie Ihre finde ich eröffnen ja auch so in bisschen die Tür vielleicht auch die Skeptiker ein bisschen mehr zu verstehen. Es gibt ja nun mal bei der Impfbereitschaft zwei Seiten. Und es auch mal gut die andere Seite zu verstehen oder gewisse Faktoren zu sehen, warum dann eine Skepsis vorliegt, finde ich auch.

Ja klar, das ist ja unser Interesse dabei. Insofern, wir gehen jetzt auch ein bisschen auf die auch sehr interessante aber auch sehr aktuelle Thematik Impfung von Kindern ein. Da haben wir auch ein paar Ergebnisse. Also insofern, da gibt es viele Punkte, wo man noch forschen kann.

Ja auf jeden Fall. Höchstaktuelles Thema es bleibt spannend, auch was für weitere Ergebnisse rauskommen, ob dieses Drittel weiterhin stabil bleibt für das Jahr 2021. Mit diesen Worten ich bedanke mich sehr für Ihre Zeit und wünsche ihnen noch viel Erfolg bei Ihrer Weiterforschung

Vielen Dank und schöne Grüße. Tschüss.

 

Literatur:

Haug, Sonja/Schnell, Rainer/Weber, Karsten (2021). Impfbereitschaft mit einem COVID-19-Vakzin und Einflussfaktoren. Ergebnisse einer telefonischen Bevölkerungsbefragung. Pre-Print https://doi.org/10.13140/RG.2.2.23811.53283 (eine ergänzte Version erscheint demnächst in: Das Gesundheitswesen)

Schnell, Rainer (2019): Survey-Interviews. Methoden standardisierter Befragungen (2. Auflage). Wiesbaden: Springer VS.

Schnell, Rainer/Haug, Sonja (2021): Impfbereitschaft: Zusammenhang zu Einstellungen gegenüber Alternativmedizin und Verschwörungstheorien bzw. als rationale Handlungswahl. Soziologische Perspektiven auf die Corona-Krise, Digitales Kolloquium, Wissenschaftszentrum Berlin (virtuell/Podcast), 09.06.2021 https://coronasoziologie.blog.wzb.eu/podcast/rainer-schnell-und-sonja-haug-impfbereitschaft-und-einstellungen-zu-alternativmedizin-und-verschwoerungstheorien/

Schnell, Rainer/Noack, Marcel/Torregroza, Sabrina (2017): Differences in General Health of Internet Users and Non-users and Implications for the Use of Web Surveys. Survey Research Methods; 11 (2): 105-123.

weitere Informationen:

6 Zur Projekthomepage: https://projekte.uni-erfurt.de/cosmo2020/web/ [28.06.2021]

7 Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH: https://www.infas.de/ [28.06.2021]

Katharina Nocun, Pia Lamberty (2020): FAKE FACTS. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen. Köln: Quadriga Verlag. ISBN: 978-3-86995-095-2 https://www.luebbe.de/quadriga/buecher/gesellschaft/fake-facts/id_7818123 [28.06.2021]

9 Lamberty, P., Imhoff, R. Verschwörungserzählungen im Kontext der Coronapandemie. Psychotherapeut 66203–208 (2021). https://doi.org/10.1007/s00278-021-00498-2

10 https://www.gesis.org/institut/abteilungen/datenarchiv-fuer-sozialwissenschaften [28.06.2021]

 

Intro & Outro: Anna-Victoria Holtz
Interviewende: Sina Jankowiak