Folge 4: Das Zusammenspiel von Geschlecht und Alter in der Covid-19-Pandemie, Interview mit Prof. Dr. Gabriele Doblhammer und Dr. Achim Dörre

 

Demografie und Gesellschaft im Fokus Folge 4:  Das Zusammenspiel von Geschlecht und Alter in der Covid-19-Pandemie, Interview mit Prof. Dr. Gabriele Doblhammer und Dr. Achim Dörre

Herzlich willkommen zu einer neuen Folge des Podcast der Deutschen Gesellschaft für Demographie. Das Gespräch haben wir am 12. Januar 2021 aufgezeichnet. Dieses Mal begrüßen wir Gabriele Doblhammer und Achim Dörre. Der Titel ihrer Forschung, auf die sie heute eingehen werden, lautet: “The Effect of Gender on Covid-19 Infections and Mortality in Germany: Insights From Age- and Sex-Specific Modelling of Contact Rates, Infections, and Deaths”.
Prof. Dr. Gabriele Doblhammer ist Inhaberin des Lehrstuhls für „Empirische Sozialforschung und Demographie“, am Institut für Soziologie und Demographie, an der Universität Rostock. Sie ist Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Demographie und darüber hinaus Mitglied in vielen anderen Forschungsinstituten. Ihre Arbeit widmet sich unter anderem der Demenzforschung und selbstverständlich auch der Demographie.
Dr. Achim Dörre ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Statistik und Ökonometrie am Institut für Volkswirtschaftslehre an der Universität Rostock. In seiner Forschung befasst er sich mit der Entwicklung statistischer Verfahren zur Behandlung fehlender Daten in Lebensdauerstudien. Die simulativen Untersuchungsansätze, die bei dieser Forschung eine große Rolle spielen, sind auch bei der Modellierung der Covid-19-Pandemie von zentraler Bedeutung.

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Ich begrüße Sie recht herzlich, Frau Doblhammer und Herr Dörre, zu unserem Interview heute. Starten wir gleich direkt mit der Veröffentlichung, über die wir heute sprechen wollen: Worum geht es in Ihrer Forschung?

Herr Dörre, wollen Sie vielleicht beginnen?

Dörre: Ja gerne. Hallo. Es geht um Covid-19. Das wahrscheinlich wichtigste, größte Thema des Jahres 2020 und 2021; um die Verbreitung des Virus, die Verbreitung der Krankheit und Auswirkungen auf die Bevölkerung. Wir haben uns damit befasst, wie unterschiedliche Altersgruppen und die unterschiedlichen Geschlechter sich in diesem Zusammenhang auswirken können. Wir wollten ganz explizit auch eine Modellierung entwickeln, bei der nicht nur die unterschiedlichen Größen der Bevölkerungsgruppen beachtet werden, sondern auch das unterschiedliche Kontaktverhalten zwischen den Gruppen. Weil es für uns eine sehr große Frage war, wie sich unterschiedliche Lockdown-Maßnahmen auswirken auf die Geschwindigkeit der Verbreitung des Virus, oder auch auf die Anzahl der Sterbefälle, die Anzahl der Personen, die schwere Verläufe haben, und wie die Pandemie effektiv begrenzt werden kann. Das ist der große Hintergrund unserer Arbeit.

Also sind Sie, weil Sie von Gruppen sprachen, sind Sie also über die Gruppe Männer und Frauen gegangen um das Geschehen in dieser Weise ein bisschen genauer anschauen zu können?

Dörre: Genau, Männer und Frauen,und auch die unterschiedlichen Altersgruppen. Zum Beispiel Frauen im Alter von 30 bis 39, Männer im Alter von 70 bis 79, und so weiter. Das Ganze ist relevant, weil eben das Kontaktverhalten sich stark unterscheidet, je nach Altersgruppe und Geschlecht finden Kontakte unterschiedlich intensiv statt, zumindest vor der Pandemie. Das sind dann Informationen, die man verwenden kann, bevor Corona ein Thema war.

Die Einteilung nach Geschlechter und Alter, das ist ja schon sehr demographisch und unser Podcast heißt ja auch „Demografie und Gesellschaft im Fokus“ – das heißt, da liegt es nahe zu fragen, was nun der besondere Beitrag der Demographie für Ihre Forschung ist.

Doblhammer: Demographen sagen immer, die beiden wichtigsten Variablen, die wir betrachten müssen, sind Alter und Geschlecht. Als Herr Dörre und ich uns am Anfang gemeinsam die epidemiologischen Modelle angeschaut haben, die es zur Vorhersage von Infektionserkrankungen gibt, war ganz klar, dass Alter oft nicht und Geschlecht eigentlich überhaupt nie enthalten war. Deswegen haben wir gesagt, wenn wir jetzt tatsächlich das Ausbreitungsgeschehen modellieren wollen und auch wissen wollen, über welche Pfade diese Virusinfektionen laufen, dann brauchen wir beides. Wir brauchen Alter in dem Modell und wir brauchen Geschlecht. Das war der Punkt, wo die Demographie einen Beitrag leisten konnte. Herr Dörre hat dann ein entsprechendes epidemiologisches Modell entwickelt, in dem Alter und Geschlecht explizit mitberücksichtigt wurden. Er hat dazu auf bestehende epidemiologische Modelle zurückgegriffen und diese dann entsprechend weiterentwickelt.

Jetzt haben wir das Wort „Modell“ und „berechnet“ schon so oft gehört; vielleicht greife ich diese Frage einfach mal vor: Was versteht man denn unter „Modelle berechnen“ oder, in Ihren Forschungsergebnissen sieht man ja auch, dass Sie „Szenarien“ berechnet haben. Was bedeutet das? Wie könnte man das jemandem erklären, der nicht vom Fach ist?

Dörre: Da hake ich gerne ein. Wie kann man sich das vorstellen? Grundsätzlich ist es so, dass Pandemien ein sehr dynamischer Prozess sind, also eine Entwicklung darstellen, die sich schwer konkret vorhersagen lässt. Eine Möglichkeit darauf zu reagieren, ist es, sich Szenarien anzusehen, also hypothetische Situationen. In dem Fall, konkret in Bezug auf das Kontaktverhalten der Bevölkerung. Szenarien sind wichtig, weil z.B das Idealziel dabei ist, die Effektivität unterschiedlicher Lockdown-Maßnahmen einzuschätzen. Aber es ist eben nicht das Ziel, eine konkrete Vorhersage von Infektions- oder Todeszahlen anzustreben. Das ist kaum möglich, denke ich. Dafür gibt es einfach zu viele überlagernde Effekte, die sich nicht genau quantifizieren lassen. Auch einfach deshalb, weil einige Eigenschaften des Virus noch nicht hinreichend bekannt sind. Deswegen gehen wir eben diesen Weg, dass wir hypothetische Entwicklungen beschreiben, quasi den Verlauf der Pandemie unter gewissen Bedingungen, zigtausend Mal durchspielen. Also immer wieder neu den zufälligen Prozess anstoßen und dann am Ende schauen, in wieviel Prozent der Fälle gab es jetzt einen besonders starken Anstieg der Infektionszahlen, oder in wieviel Prozent der Fälle gab‘s keinen besonders starken Anstieg? Da insbesondere dann, im Vergleich der Szenarien. Also ein Szenario könnte beispielsweise sein: die Schulen werden wieder geöffnet. Wie stark lässt sich der Effekt dann auf die Infektionszahlen im Verlauf der nächsten zwei Monate quantifizieren? Und das ist eben eine Sache, die man so auch tatsächlich sich nur in Modellen, also in konkreten Szenarien überlegen kann, einfach, weil die Pandemie, die wir beobachten, natürlich nur einmal stattfindet. Also am Ende ist man immer schlauer sozusagen und weiß, wie es dann tatsächlich ausgegangen ist. Szenarien sind wirklich sehr wichtig, um hypothetische Entwicklungen beschreiben zu können.

Dankeschön, das macht doch einiges deutlicher. Und dann können wir jetzt nämlich jetzt auch ein bisschen tiefer in Ihr Paper oder Ihre Veröffentlichung eingehen. In Vorbereitung auf diesen Podcast habe ich mir natürlich auch die Forschung durchgelesen und da ist mir gleich zu Anfang ein Diagramm aufgefallen wo Sie das Verhältnis der Infektionsraten von Männern zu Frauen zeigen. Über die, wie Sie schon genannt haben, verschiedenen Altersgruppen hinweg. Und Sie unterscheiden auch nach Bundesländern. Welche Rückschlüsse ziehen Sie daraus? Also auf dem ersten Blick schien es mir, dass Berlin, Hamburg und Bremen im Alter von 0 bis 59 Jahren doch ein gleichmäßigeres Verhältnis an Infektionen von Männern zu Frauen  haben als die anderen Bundesländer. Wie erklärt sich das?

Doblhammer: Das war eigentlich der Ausgang unserer Forschungsfrage. Die Grafik, die Sie ansprechen, beschreibt, ob es mehr Infektionen bezogen auf die Anzahl der Bevölkerung in der jeweiligen Altersgruppe unter Frauen gibt oder unter Männern. Jetzt ist es so, dass wir wissen, dass Männer eine höhere Covid-19 Sterblichkeit haben das heißt, sie haben schwerere Verläufe, sie haben eine höhere Sterblichkeit, aber bei den Infektionen sieht das anders aus. Und zwar muss man da nach Altersgruppen unterteilen und das ist das, was wir gemacht haben. Man sieht hier, dass bis zum Alter von etwa 60 Jahren Frauen häufiger von Infektionen betroffen sind als Männer und über 60 Jahren, so zwischen 60 und 80, sind eindeutig die Männer häufiger von Infektionen betroffen und dann ab 80, sind in etwa Männer und Frauen gleich betroffen.  Also der Punkt, der uns hier verwundert hat, nicht nur uns, sondern auch andere Wissenschaftler, ist: Warum sind Frauen im Alter zwischen 20 und 60 Jahren häufiger von Infektionen mit Covid-19 betroffen als Männer?

Wo haben Sie denn Ihre Zahlen her? Wir haben im Laufe der verschieden Podcastfolgen schon auch oft über die Zahlen des RKI1 gesprochen – woher beziehen Sie Ihre Zahlen auf deren Grundlage Sie dann die Szenarien und Modelle berechnen können?

Dörre: Wir verwenden vor allem Daten vom RKI, die berichteten Infektionszahlen, unterteilt nach Alter und Geschlecht.. Was für unsere Untersuchung aber auch enorm wichtig ist, ist eine Untersuchung, die im Jahr 2017² veröffentlicht wurde. Da geht es um die Kontaktraten zwischen den Personen in unterschiedlichen Altersgruppen, zwischen den Geschlechtern, natürlich vor der Pandemie. Das sind Untersuchungen, die durchgeführt wurden, schon mit dem Gedanken: Wie könnte sich ein Virus verbreiten bei einer neuen Pandemie, und ja, das ist wirklich ein enorm wichtiger Bestandteil, dass wir Informationen darüber haben, wie das Kontaktverhalten in der Bevölkerung sich darstellt, also wie intensiv und wie oft sich Personen treffen. Zu guter Letzt gibt es noch eine dritte wichtige Datenquelle, die wir benutzt haben, nämlich die Informationen vom Statistischen Bundesamt über die demographische Verteilung in Deutschland, also wie viele Personen sich in den jeweiligen Altersgruppen befinden, wie viele Personen davon männlich sind und weiblich.

Und die Kontakthäufigkeiten von 2017 übertragen Sie dann sozusagen auf das aktuelle Geschehen?

Dörre: Ja, das sind geschätzte Werte spezifisch für Deutschland. Dieselben Werte gibt es natürlich auch für andere Länder, also Deutschland ist jetzt keine Ausnahme. Das fanden wir jedenfalls ganz sinnvoll und wichtig, dass diese geschätzten Kontaktraten auch wirklich für Gesamtdeutschland plausibel anzuwenden sind. Wir haben diese Kontaktraten dann benutzt, um in einem zweiten Schritt zu schätzen, wie wahrscheinlich eine Ansteckung mit dem Virus ist, jeweils bei einem Kontakt. Also man muss dazu sagen, diese Kontaktraten gelten erstmal allgemein, unabhängig von einer Pandemie natürlich. Das heißt, wenn es da um ein spezielles Virus geht, in dem Fall um das Corona-Virus, dann müssen wir diese Kontaktraten insofern noch gewichten oder anpassen, um die spezifische Übertragungswahrscheinlichkeit zu berücksichtigen. Das haben wir gemacht, eben für den Zeitraum, in dem es noch keine wesentlichen Maßnahmen zur Kontaktbeschränkung gab. Das war noch im Februar und März 2020 so, sodass wir dann eben möglichst verlässliche Werte haben über das Kontaktverhalten in der Bevölkerung.

Doblhammer: Es ist so, wenn man sich diese Kontaktraten anschaut, dann sieht man auch tatsächlich in diesen Kontakten, dass Frauen in gewissen Altersgruppen mehr Kontakte haben als Männer und zwar im Alter von 20 und 50 Jahren ist es etwa so, dass Frauen ungefähr 20/25 Prozent mehr tägliche Kontakte haben als Männer. Das dreht sich dann im Alter über 60 wieder um, da haben Männer dann mehr Kontakte, etwa 14 Prozent mehr tägliche Kontakte als Frauen. Es geht dann so im Alter um 80 ziemlich weg, dieser Unterschied zwischen Männern und Frauen, da sind die Kontakte in etwa gleich verteilt.

Eigentlich scheint das ja auch naheliegend, einfach durch die Lebensweise der meisten Frauen, an ihren spezifischen Berufen, an der Care-Arbeit, also die Betreuung von Kindern und Pflege von Verwandten beispielsweise. Das Thema ist ja nun auch in Zeiten der Pandemie wieder aktueller. Möchten Sie dann mal zu Ergebnissen kommen? Was hat sich in Ihren Szenarien gezeigt, die sich dann ja schon bestätigt haben mittlerweile?

Dörre: Die eine Erkenntnis, die auch nicht unbedingt neu ist und generell bei dynamischen Prozessen auftreten kann, ist, dass kleine Veränderungen bereits große Auswirkungen haben können. Also kleine Änderungen im Kontaktverhalten führen teilweise wirklich zu spürbaren Effekten in der Pandemie, also in Bezug auf die Infektionszahlen und auch Sterbezahlen. Das ist eben eine Sache, die für das Beenden des Lockdowns relevant sein wird, eben auch, weil eine Rückkehr in einen Lockdown eben auch nicht so schnell erfolgen kann. Generell ist es so, wenn es exponentielle Anstiege gibt bei den Infektionszahlen, das hat man ja auch bei den Infektionszahlen gesehen im Herbst, Anfang des Winters, dann ist auch wirklich nicht mehr so viel Zeit, um wirklich die Kontakte wieder runterzufahren und das können wir eben in unseren Modellen auch nachweisen und sehen. Das ist die eine große Erkenntnis. Die zweite große Erkenntnis ist, dass es altersgruppenübergreifende Phänomene gibt. Damit meine ich, dass was am Anfang und im Herbst oft diskutiert wurde, war die Frage, ob es denn jetzt so wesentlich wäre, bei den Kindern und Jugendlichen die Kontakte wirklich zu beschränken, denn Kinder und Jugendliche, das ist bekannt, haben in der Regel keinen schweren Verlauf, sind auch oft asymptomatisch, also; warum sollte man da so vorsichtig sein, könnte man sich naiv fragen. Aber was wir eben in der Modellierung auch sehen können, in den Szenarien, ist, dass auch, wenn nur zwischen Kindern und Jugendlichen die Kontakte erhöht werden, dann auch die Inzidenz bei älteren Personen steigt, eben durch die Kontakte zwischen den verschiedenen Altersgruppen. Das kann natürlich dann dramatisch sein, wenn man auch an größere Veranstaltungen denkt, an Konzerte oder Festivals, die dann eben, so muss man das befürchten, zu mehr Intensivpatienten führen können, zu mehr Sterbefällen, wenn dann über die verschiedenen Altersgruppen hinweg das Virus übertragen wird.

Doblhammer: Ich glaube, ein interessanter Punkt war auch dass viele dieser Infektionen über die Frauen laufen, einfach, weil sie mehr Kontakte haben. Lockert man gleichermaßen bei Männern und Frauen, dann laufen verhältnismäßig eher Infektionen über die Frauen, weil sie einfach mehr mit anderen in Verbindung treten. Aber das Interessante daran ist auch; getroffen werden mehr die Männer. Dadurch, weil Männer ja „anfälliger“ sind für schwerere Verläufe und Todesfälle. Also Lockerungen führen dazu, dass Infektionen verstärkt über Frauen laufen, weil sie eben in verschieden Berufen eben mehr Kontakte haben, aber getroffen werden die Älteren und dann vor allem die Männer. Das, glaube ich, ist auch noch ein wichtiger Punkt, den man sonst über die Modelle eigentlich nicht so sieht; und gerade das finde ich, ist auch nochmal wichtig in Hinblick darauf, was man daraus für eine Conclusio zieht. Eigentlich müssten wir verstärkt versuchen Kontakte unter Frauen zu minimieren und hier ist ein Punkt, der jetzt auch ganz stark in der Diskussion ist; dass offensichtlich das Potential an Homeoffice noch nicht wirklich ausgeschöpft ist. Das trifft natürlich vor allem auch wieder die Frauen. Also hier wäre zum Beispiel eine Möglichkeit gegeben, wenn man Frauen verstärkt noch ins Homeoffice bringen könnte, dass man hier bei Frauen auch stärker nochmal die Kontakte reduzieren könnte und damit auch die Männer schützt.

Arbeiten Sie denn noch an weiteren Veröffentlichungen? Also, führen Sie Ihre Forschungen auf diesem Feld weiter fort? Die Frage gerne an Sie beide.

Doblhammer: Ja, wir haben eine weitere Studie, wo wir nicht nur nach Geschlecht schauen, in diesem Fall schauen wir da gar nicht nach Geschlecht, sondern uns interessiert da, ob es in der ersten Welle der Infektionen zu Unterschieden nach sozioökonomischen Charakteristiken gegeben hat.  Das weiß man ja aus anderen Ländern, UK oder US, dass dort bestimmte ethnische Gruppen ein höheres Risiko hatten, aber dass es auch ganz stark soziale Unterschiede in den Infektionsraten und nachher vor allem auch in der Sterblichkeit gegeben hat. Für Deutschland gibt’s da keine Studien dazu oder nur einige wenige Studien, die sehr gezielt gewisse Indikatoren sich angeschaut haben zum sozioökonomischen Status. Wir haben hier eine Studie aufgesetzt, wo wir sehr breit untersuchen, ob es in der ersten Welle der Covid-19 Erkrankungen zu sozialen Unterschieden gekommen ist, ob es also soziale Unterschiede im Infektionsrisiko an Covid-19 gegeben hat.

Herr Dörre, Frau Doblhammer hat ja gerade schon gesprochen, dass es ihrer beide Forschung ist, die sich dem anschließt, ähm, gibt es noch andere Forschung die sie in Bezug auf Covid-19 verfolgen werden?

Also es ist eine laufende Weiterentwicklung, würde ich sagen. Gerade jetzt, wenn es um die Frage geht, wie lange wird der Lockdown noch bestehen bleiben, was passiert, wenn der Lockdown wieder aufgehoben oder gelockert wird. Also da gibt’s durchaus noch Potential, sich das weiter zu überlegen. Was ich auch spannend finde, ist jetzt dieser zusätzliche Effekt durch die Impfungen, die langsam anlaufen. Diesen Effekt vielleicht auch messbar zu machen in den Infektionszahlen. Dann kommt ein neuer Effekt hinzu zum Pandemiegeschehen, der sicherlich auch nicht ein Allheilmittel sein kann, aber durchaus die Geschwindigkeit der Verbreitung reduzieren könnte, oder zumindest die Anzahl schwerer Verläufe reduzieren kann. In die Richtung denke ich auch, dass es da noch viele spannende Fragen gibt für die Forschung, die wir uns auch sicherlich gern ansehen werden.

Ich bedanke mich für das Interview und diesen super Einblick, auch mal eine andere Sichtweise auf das Infektionsgeschehen zu haben – einfach nur durch die Hinzunahme der Kontaktraten, des Geschlechts und dem Alter.

Die thematisierten Forschungen von Dr. Achim Dörre und Prof. Dr. Gabriele Doblhammer:

Dörre, Doblhammer (2020). Age- and Sex-Specific Modelling of the COVID-19 Epidemic. https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.10.06.20207951v1

Doblhammer, Reinke, Kreft (2020). Social Disparities in the First Wave of COVID-19 Infections in Germany: A Country-Scale Explainable Machine Learning Approach. https://www.medrxiv.org/content/10.1101/2020.12.22.20248386v1

 

Weitere Informationen:

1 Robert Koch-Institut: https://www.rki.de/DE/Home/homepage_node.html

² van de Kassteele, J., van Eijkeren, J. and Wallinga, J. (2017): Efficient Estimation of Age-Specific Social Contact Rates Between Men and Women, The Annals of Applied Statistics, Volume 11, No. 1, 320–339. https://doi.org/10.1214/16-AOAS1006

 

 

Intro & Outro: Anna-Victoria Holtz
Interviewende: Sina Jankowiak