Erstens gibt es eine zunehmende Zahl von Haushalten, die nur per Mobiltelefon erreichbar sind. Das korreliert wiederum mit Alter, Einkommen, Migrationshintergrund oder anderen Faktoren. Die werden bei einer Ziehung aus dem Festnetzauswahlrahmen ausgeschlossen. Nach Angaben von infas betrifft das mindestens 13 Prozent der Bevölkerung und mindestens 18 Prozent der Haushalte, also ein erheblicher Teil inzwischen. Darauf wird mit dem Dual-Frame-Verfahren reagiert, das hatte ich schon erwähnt.
Zweitens gibt es eine sinkende Antwortbereitschaft, eine zunehmende Teilnahmeverweigerung bei Umfragen. Dies variiert auch nach Thema. Das Thema Impfung in der Corona-Pandemie betrifft allerdings die meisten Menschen und interessiert auch die meisten, daher ist die Antwortbereitschaft auch relativ hoch und daher ließ sich unsere Studie auch gut realisieren.
Dritter Punkt betrifft die Problematik, dass ein Teil der Bevölkerung mit Migrationshintergrund nicht gut genug Deutsch verstehen oder spricht, um ein Telefoninterview zu führen. Es ist unklar, wie viele Personen dies genau betrifft. Einerseits hat der Anteil der Personen ohne Deutschkenntnisse wieder zugenommen seit 2015, andererseits ist der Spracherwerb durch Integrationskurse für Geflüchtete auch viel schneller erfolgt. Die Lösung wäre eine Übersetzung des Fragebogens und das Angebot von Interviews in Herkunftssprachen, was allerdings sehr teuer und aufwändig ist. Dieses Angebot konnten wir in dieser Studie nicht realisieren.
Also Fazit ist, Telefonbefragungen ist immer noch das beste Verfahren für eine Bevölkerungsbefragung, da alternative Verfahren teurer oder in der Corona-Pandemie auch weniger praktikabel sind, zum Beispiel eine Einwohnermelderegisterstichprobe mit persönlich-mündlichen Interviews, oder auch relativ geringe Ausschöpfungsquoten erzielen, wie Einwohnermelderegisterstichprobe mit postalischer Befragung, oder im Fall von Online-Befragungen keine generalisierbaren Ergebnisse bringen. Diese Problematik kann auch in Publikationen von Rainer Schnell nachgelesen werden.
Wir befinden uns beim Podcast der Deutsche Gesellschaft für Demographie und da liegt natürlich die Frage auf der Zunge: welche Rolle spielt die Demographie denn bei Ihrer Forschung oder für Ihre Studie im Speziellen?
Natürlich ist das für uns zentral, das ist klar. Die soziodemographische Struktur oder auch demographische Struktur der Bevölkerung ist ganzentscheidend für die Ergebnisse einer Umfrage. Diese Altersstruktureffekte müssen immer in Betracht gezogen werden, das ist ja mit auch ein Grund, warum diese Online-Befragungen verzerrte Ergebnisse erbringen, weil sie eben die älteren ausschließen. Wenn Aussagen über die Bevölkerung gemacht werden sollen, ist es wichtig, demographische Merkmale zu erheben. Die Erklärungskraft der demographischen Faktoren Alter und Geschlecht ist für jede Studie wichtig, aber auch weitere Aspekte wie Elternschaft oder Migrationshintergrund – den konnten wir leider nicht adäquat erfassen. Ein zentraler Faktor bei der Impfbereitschaft ist nach unseren Erwartungen das Alter. Mit dem Alter steigt das Risiko der Erkrankung; deshalb zählt das Robert-Koch-Institut (RKI) ältere Menschen zu den Risikogruppen. Das Alter hat auch in unserer Studie einen unabhängigen Effekt, auch unter Kontrolle verschiedener Faktoren. Das heißt, dass ältere Menschen grundsätzlich impfbereiter sind. Das ist mit auch ein Ergebnis der Telefonbefragung. Die Online-Befragungen, die eine niedrigere Impfbereitschaft ermitteln, sind eben verzerrt, da ältere Menschen systematisch untererfasst bleiben. Was wir so nicht erwartet hatten – und ich hatte keine Hypothese dazu, in der ersten Analyse wurde Geschlecht gar nicht einbezogen – ist die geringe Impfbereitschaft von Frauen im Vergleich zu Männern. Dieser Geschlechtseffekt bleibt stabil auch unter Kontrolle einer langen Liste anderer Faktoren. Und dann weiterhin Eltern, die minderjährigen Kindern im Haushalt haben, und auch hier wiederum Mütter mit minderjährigen Kindern, haben eine geringere Impfbereitschaft als alle Personen ohne minderjährige Kinder. Generell gehen wir von der Annahme rationaler Akteure aus, das heißt wir erwarten, dass die Entscheidung, sich impfen zu lassen, auch rationalen Kalkülen folgt. Hierbei spielt natürlich das Risiko einer COVID-19-Erkrankung und deren Konsequenzen eine entscheidende Rolle. Zu erwarten sollte ja auch sein, dass Bildung oder Wissen über Impfungen die Impfbereitschaft erhöhen. Tatsächlich steigt die Impfbereitschaft mit dem Bildungsniveau, aber bei jeder Schulabschlussstufe sind Frauen etwas weniger impfbereit als Männer. Besonders niedrig ist dann die Impfbereitschaft übrigens bei Frauen mit Fachhochschulreife, dies durchbricht den Bildungseffekt, dass bei steigender Bildung die Impfbereitschaft höher ist. Das Geschlecht ist etwas, das wir noch genauer betrachten wollen.
Gerade bei diesem Thema, was ja so öffentlich diskutiert worden ist, können es ja allein auch schon Medienberichte sein, die dann die Einstellung stark beeinflussen können. Ihr Projekt umfasst ja auch den Zusammenhang von Impfbereitschaft und, besonders in der Pandemie sehr publik gewordenen Thema, Verschwörungstheorien und auch die Alternativmedizin, die seit mehreren Jahren in aller Munde ist. Wie behandelt Ihre Studie diese Bereiche und verbindet sie miteinander?
Grundsätzlich hatte ich ja schon erwähnt, dass wir dachten, die Befragten entscheiden sich rational und tatsächlich zeigt sich auch dieser Effekt, dass Personen aus Risikogruppen und Personen, die die Gefährlichkeit einer COVID-19-Erkrankung hoch einschätzen, auch bei multivariater Analyse eine hohe Impfbereitschaft haben. Zum Beispiel haben 84,5 Prozent haben Personen, die die langfristigen Konsequenzen einer Erkrankung mit COVID-19 möglicherweise für gefährlich halten eine sehr hohe Impfbereitschaft, wohingegen nur 19,6 Prozent sich impfen lassen wollen, wenn sie die Konsequenzen für völlig harmlos halten. Dieser Effekt ist auch nochmal unabhängig von der Selbstzuordnung zu einer Risikogruppe. Also das Risiko wird dann mit einbezogen. Die Erfahrungen mit einer Infektion, oder auch die Impfbereitschaft bei Personen in der eigenen sozialen Bezugsgruppe haben einen Einfluss. Aber auch das Vertrauen in das Robert-Koch-Institut, also die verfügbaren Informationen. Das ist alles gut erklärbar, denn neben der eigenen Betroffenheit wird die Betroffenheit und die Einstellung von Personen aus dem engsten sozialen Umfeld für die eigene Impfentscheidung relevant. Und das Vertrauen in Institutionen, da ist das RKI an erster Stelle zu erwähnen. Dann kommen aber noch Faktoren hinzu, die sich nicht so einfach erklären lassen und teilweise etwas seltsam wirken. Hängt natürlich mit Medien zusammen, da gehe ich jetzt aber gar nicht so sehr drauf ein. Zum einen ist die Furcht vor Nebenwirkungen ein zentraler Faktor für Impfskepsis oder Impfablehnung – das ließe sich ja auch noch mit der Annahme rationaler Akteure gut erklären. Wir haben in einer Art Wissenstest nach der Einschätzung gefragt, wie häufig ernsthafte Nebenwirkungen bei Grippeimpfungen auftreten. Die Faktenlage ist so, dass die Wahrscheinlichkeit ernsthafter Nebenwirkungen bei Grippeimpfungen bei nahe null liegt. In unserer Studie hingegen äußern die Befragten Werte, die extrem hoch sind; also wären sie tatsächlich so hoch, würde eine Impfung nie zugelassen werden. Der Mittelwert der vermuteten Häufigkeit bei Grippeimpfkomplikationen liegt bei 16.8%, bei Impfskeptikern bei sagenhaften 30.4%. Um besser verstehen zu können, wie solche Werte zustande kommen, verwenden wir, leicht abgewandelte Item der Vaccine Conspiracy Beliefs Scale von Shapiro et al. 2016 und abgewandelte Items zur Messung einer Verschwörungsmentalität nach Lamberty und Imhoff 2018. Wir fragen auch, wie im ALLBUS 2012, nach dem Glauben an die Wirksamkeit alternativer Heilverfahren und zur Einstellung zu bestimmten Behandlungsverfahren, zum Beispiel Akupunktur oder Homöopathie, die da mit hineinspielen.
Welche Ergebnisse haben sich dabei gezeigt?
Ganz deutlich zeigt sich: Impfablehnung geht häufig einher mit Überzeugungen von stark überhöhten und wissenschaftlich nicht belegten Gefahren von Impfungen sowie von Verschwörungsüberzeugungen. Personen, die den Items der Vaccine Conspiracy Beliefs Scale voll zustimmen, sind viel weniger impfbereit. Das sind zum Beispiel Aussagen wie „Pharmaunternehmen spielen die Gefahren von Impfstoffen herunter“, das stimmen 19 Prozent voll zu. Oder „Nebenwirkungen von Impfungen werden häufig verschwiegen“, der 21 Prozent voll zustimmen. Bei Personen, die den Items der Skala voll zustimmen, liegt die Impfbereitschaft nur noch bei einem Drittel. Solche Einstellungsmuster sind natürlich auch medial vermittelt. Auch ein starker Glaube an die Wirksamkeit alternativer Heilverfahren oder eine hohe Anzahl befürworteter alternativer Verfahren für die Krankheitsbehandlung, z.B. Homöopathie, die kovariieren mit einer geringeren Impfbereitschaft. Etwa die Hälfte der Bevölkerung glaubt an die Wirksamkeit von Homöopathie und 43 Prozent glauben, dass alternative Heilmethoden besser als die Schulmedizin wirken. Ist natürlich klar, dass damit auch eine Impfablehnung verbunden ist. Zusammenfassend hat etwa ein Drittel einen hohen Glauben an die Wirksamkeit alternativer Behandlungsverfahren. Da sind wir im Moment. Zu diesen Zusammenhängen wollen wir noch weitere Analysen durchführen, um besser verstehen zu können, wie diese Einstellungsmuster mit anderen Faktoren zusammen hängen wie Bildung, Geschlecht oder Elternschaft oder politischen Einstellungsmustern und auch Mediennutzung natürlich, zusammenhängen. Schon jetzt ist aber auch deutlich, dass hier Ansatzpunkte gegeben sind, dass Wissensdefizite behoben werden sollten, um der Verbreitung falscher Informationen entgegenzuwirken und so möglicherweise die Impfbereitschaft zu erhöhen.
Aber Forschungen wie Ihre finde ich eröffnen ja auch so in bisschen die Tür vielleicht auch die Skeptiker ein bisschen mehr zu verstehen. Es gibt ja nun mal bei der Impfbereitschaft zwei Seiten. Und es auch mal gut die andere Seite zu verstehen oder gewisse Faktoren zu sehen, warum dann eine Skepsis vorliegt, finde ich auch.
Ja klar, das ist ja unser Interesse dabei. Insofern, wir gehen jetzt auch ein bisschen auf die auch sehr interessante aber auch sehr aktuelle Thematik Impfung von Kindern ein. Da haben wir auch ein paar Ergebnisse. Also insofern, da gibt es viele Punkte, wo man noch forschen kann.
Ja auf jeden Fall. Höchstaktuelles Thema es bleibt spannend, auch was für weitere Ergebnisse rauskommen, ob dieses Drittel weiterhin stabil bleibt für das Jahr 2021. Mit diesen Worten ich bedanke mich sehr für Ihre Zeit und wünsche ihnen noch viel Erfolg bei Ihrer Weiterforschung
Vielen Dank und schöne Grüße. Tschüss.
Literatur:
Haug, Sonja/Schnell, Rainer/Weber, Karsten (2021). Impfbereitschaft mit einem COVID-19-Vakzin und Einflussfaktoren. Ergebnisse einer telefonischen Bevölkerungsbefragung. Pre-Print https://doi.org/10.13140/RG.2.2.23811.53283 (eine ergänzte Version erscheint demnächst in: Das Gesundheitswesen)
Schnell, Rainer (2019): Survey-Interviews. Methoden standardisierter Befragungen (2. Auflage). Wiesbaden: Springer VS.
Schnell, Rainer/Haug, Sonja (2021): Impfbereitschaft: Zusammenhang zu Einstellungen gegenüber Alternativmedizin und Verschwörungstheorien bzw. als rationale Handlungswahl. Soziologische Perspektiven auf die Corona-Krise, Digitales Kolloquium, Wissenschaftszentrum Berlin (virtuell/Podcast), 09.06.2021 https://coronasoziologie.blog.wzb.eu/podcast/rainer-schnell-und-sonja-haug-impfbereitschaft-und-einstellungen-zu-alternativmedizin-und-verschwoerungstheorien/
Schnell, Rainer/Noack, Marcel/Torregroza, Sabrina (2017): Differences in General Health of Internet Users and Non-users and Implications for the Use of Web Surveys. Survey Research Methods; 11 (2): 105-123.
Projektwebseite
weitere Informationen:
1 Zur Person: https://www.oth-regensburg.de/professoren-profilseiten/professoren-s/prof-dr-habil-sonja-haug.html [28.06.2021]
2 Zur Person: https://www.oth-regensburg.de/fakultaeten/angewandte-natur-und-kulturwissenschaften/personen-kontakt/contact/karsten-weber-2.html [28.06.2021]
3 Zur Person: https://www.uni-due.de/soziologie/schnell.php [28.06.2021]
4 Zur Person: https://www.oth-regensburg.de/nc/kontakt/contact/amelie-altenbuchner.html [28.06.2021]
5 Zur Person: https://www.oth-regensburg.de/fakultaeten/angewandte-sozial-und-gesundheitswissenschaften/personen-kontakt/contact/anna-koch.html [28.06.2021]
6 Zur Projekthomepage: https://projekte.uni-erfurt.de/cosmo2020/web/ [28.06.2021]
7 Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH: https://www.infas.de/ [28.06.2021]
8 Katharina Nocun, Pia Lamberty (2020): FAKE FACTS. Wie Verschwörungstheorien unser Denken bestimmen. Köln: Quadriga Verlag. ISBN: 978-3-86995-095-2 https://www.luebbe.de/quadriga/buecher/gesellschaft/fake-facts/id_7818123 [28.06.2021]
9 Lamberty, P., Imhoff, R. Verschwörungserzählungen im Kontext der Coronapandemie.
Psychotherapeut 66, 203–208 (2021). https://doi.org/10.1007/s00278-021-00498-2
10 https://www.gesis.org/institut/abteilungen/datenarchiv-fuer-sozialwissenschaften [28.06.2021]
Intro & Outro: Anna-Victoria Holtz
Interviewende: Sina Jankowiak